Es naht der 27. Januar, Gedenktag der Opfer des Nationalsozialismus.
Filme werden gezeigt, Fotos der Konzentrationslager gepostet, Gefühle der Trauer und der Wille des Nicht-Vergessen-Wollens bestimmen diese Tage.
Eng damit verknüpft aber der Gedanke, dass dieses der entsetzlichsten Kapitel der Geschichte an einen bestimmten geschichtlichen Moment, eine bestimmte vergangene Generation und natürlich eine bestimmte Nationalität gebunden ist und also wir alle damit nichts zu tun haben.
Und hier liegt der Fehler....
Indem wir nämlich die Schuld an ein bestimmtes Volk - aber die wussten ja von nichts...- oder eben an die Nazis - aber die haben ja nur Befehle ausgeführt - also letztlich nur Hitler??!! - eine Person delegieren, werden wir NIE daraus lernen.
Nur wenn man erkennt, dass das Böse auch in uns schlummert, dass oft ganz unscheinbare Situationen auch aus uns Menschen machen, die sehr schnell ihr Gewissen taub stellen oder die uns zu Taten verführen, die wir nicht für möglich gehalten hätten, nur dann werden wir daraus lernen.
Heinar Kipphardt hat 1983 (Uraufführung) genau diesen Aspekt mit seinem "Bruder Eichmann" als Dokumentardrama behandelt. In meiner Dissertation hatte ich ein kurzes Kapitel dem Milgram-Experiment aus - wie ihr sehen werdet - verständlichen Gründen gewidmet.
Unterrichtstipps: siehe unten
das Milgram-Experiment
Und nun zur Lektüre...
(die Seiten könnt ihr übrigens auch unten downloaden und ausdrucken)
Das Milgram-Experiment oder
das Experiment der
Eichmann-Haltung
Eine Untersuchung der Manipulierbarkeit des Menschen unter Anbetracht der
Haltung Adolf Eichmanns, ein "pflichtbewusster" Mann, der sein Gewissen delegiert hatte….
(Auszug aus der Dissertation "Bruder Eichmann" von Virginia
D'Alò, eine Recherche über das Buch "Bruder Eichmann" von Heinar
Kipphardt[1],
das Dokumentartheater, den Voraussetzungen des Nationalsozialismus und der
Schuldfrage, aus dem Jahr 1989)
Wie weit die Manipulierbarkeit des Menschen geht, hat
sich mit den Ergebnissen des berühmten Milgram-Experimentes offenbart und wie
peinlich die sich daraus ergebende Wahrheit empfunden wurde, hat sich mit dem
schnellen Vergessen dieses so tiefgreifenden Experimentes gezeigt.
Der amerikanische Sozialpsychologe Stanley Milgram unternahm seine
Versuchsreihe 1960/63 an der Yale-Universität und wurde durch sein Buch "Das Milgram-Experiment. Zur
Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität" berühmt.
Milgram hatte per Annonce und aus dem Telefonbuch
ganz normale Menschen gesucht, die in einem Lernexperiment unter der Autorität
eines Versuchsleiters die falschen Antworten einer Versuchsperson bestrafen
sollten, also den "Lehrer" zu spielen hatten.
Die angebliche Frage war, ob die Versuchsperson
tatsächlich besser lernen würde, wenn man ihr nach jedem Fehler eine härtere
Strafe erteilen würde. Dabei waren sowohl "Versuchsleiter", als auch
"Schüler" vollkommen in den Versuchsplan eingeweiht, nur der
"Lehrer" war ahnungslos. Der Lehrer wurde in einem vom angeblichen
Schüler abgetrennten Raum vor ein Schaltpult gesetzt und sollte ihm bei jeder
falschen Antwort - höflich aber bestimmt vom Versuchsleiter aufgefordert -
durch Knopfdruck Stromstöße steigender Spannung (von 15 bis max. 450 Volt) versetzen.
Der Versuchsleiter war übrigens ein weißer Amerikaner, unauffällig gekleidet,
sollte "normal" wirken, damit die Versuchspersonen von keinerlei
gesellschaftlichen Vorurteilen beeinflusst werden konnten.
Auch wenn der Schüler die Wirkung simulierte, musste die
Versuchsperson, also der Lehrer, glauben, dass der Generator funktionierte.
Ergebnis: 62,5%
der Versuchspersonen, aus allen Altersstufen und verschiedenen sozialen
Schichten, drückten alle
Schocktasten, also auch diejenigen mit der Aufschrift: "Gefahr:
bedrohlicher Schock" und die letzten beiden Schalter mit der Bezeichnung
"XXX".
Eine allgemein große Bereitschaft also, die eigene
Gewissensinstanz zugunsten einer äußeren Autorität aufzugeben. Adolf Eichmann
ist demnach näher, als wir vermuteten; denn sein Glaube, durch Befehl
gewissensgeschützt zu sein, erscheint nun gar nicht mal so irritierend und
abartig. Auch er wusste von den Auswirkungen seiner Arbeit, aber die
Verantwortung lag ja in der befehlsgebenden Ebene…
Als er die Wirkungen zu Gesicht bekam, wurde ihm
schlecht, und er zog es vor, die Augen davor zu verdecken. In jenem Moment hätte
er Stellung beziehen konnte, aber er passte.
Immerhin zeigte sich bei dem Milgram-Experiment, dass im
Falle eines optischen Kontaktes - wenn also Lehrer und Schüler sich zusammen in
einem Raum befanden - die Zahl der Gehorsamen auf 40% zurück ging (eine immer
noch beträchtliche Zahl).
Aber
das Experiment hat einen anderen peinlichen Aspekt bloßgelegt: Diese Befehle
wurden fast völlig freiwillig ausgeführt; es
waren bei Nichtausführung keinerlei Bestrafungen vorgesehen, noch
standen die Versuchspersonen in irgendeiner Abhängigkeitsbeziehung gegenüber
dem Dienstleiter.
Außerdem war ihnen die Versuchsperson unbekannt, sehr
wahrscheinlich wäre die Bereitschaft zum Gehorsam gestiegen, wenn eine
moralische Legitimation bestanden hätte.[2]
Eichmann erscheint - wenn man dieses Experiment
betrachtet - unheimlich nahe.
Eine Schockreaktion macht sich Luft, wenn man bedenkt,
wie wenig wir uns in bestimmten Situationen von unserem Gewissen leiten lassen
und wie leicht unser Verantwortungsbewusstsein außer Gefecht gesetzt werden
kann. Eine solche Reaktion erwartete sich auch Heinar Kipphardt mit seinem Buch
"Bruder Eichmann"[3]. Keineswegs
wollte er damit sagen: "Eichmann war nicht so schlimm, aber: Eichmann ist
nicht einmalig!"[4]
Überdies lädt dieses Experiment zu der Frage ein,
inwieweit wir im normalen Leben schon äußeren Autoritäten hörig geworden sind
und wer sich unter diesen Autoritäten verbirgt, die uns in solch subtiler Weise
leiten könnten oder es schon tun.
Virginia D'Alò
Nachtrag:
2009 wiederholte der Sozialpsychologe Jerry M. Burger von der Santa Clara
University in Kalifornien das Milgram-Experiment. Seine Ergebnisse
bestätigen Stanley Milgram.
Im März 2010 wandelte Christophe Nick das Milgram-Experiment fürs Fernsehen
ab: Bei France 2 forderte die Moderatorin Tania Young Freiwillige im Rahmen
einer fiktiven Show dazu auf, einen Quiz-Kandidaten bei falschen Antworten mit
Stromstößen zu bestrafen. Das Publikum im Saal wusste ebenso wenig wie die
Testpersonen, dass der vermeintliche Kandidat von einem Schauspieler
dargestellt wurde. Nur 16 von 80 Probanden, die den angeblichen Kandidaten zwar
nicht sehen konnten, aber seine Schmerzensschreie hörten, brachen ihre
Teilnahme vorzeitig ab. Die anderen 64 erhöhten die angezeigte
Stromstärke selbst dann noch, wenn die Schmerzensschreie aufhörten und von dem
"Kandidaten" kein Lebenszeichen mehr zu hören war.
[1] Kipphardt, Heinar, "Bruder Eichmann", Schauspiel und Materialien,
1986, Rowohlt Verlag.
[2] Eine der wenigen Versuchspersonen, die sich höflich aber
bestimmt weigerte, das Experiment weiterzuführen, als sie merkte, dass die
verabreichten Strom-Schocks Schmerz verursachten, war - ironischerweise- eine
Frau, die im Hitler-Deutschland aufgewachsen und der Nazipropaganda ausgesetzt
gewesen war.
[3]
"Das Stück zeigt auch, wie in der Eichmann-Haltung die Soldatenhaltung und
die funktionale Haltung des durchschnittlichen Bürgers überhaupt steckt, die
Haltung, Gewissen sei an die Gesetzgeber und an die Befehlsgeber delegiert.
Genauer gesehen zeigt sich, dass die Eichmann-Haltung die gewöhnliche Haltung
in unserer gewöhnlichen Welt geworden ist, im Alltagsbereich wie im politischen
Leben, wie in der Wissenschaft - von den makabren Planspielen moderner Kriege,
die von vornherein in Genozid-Größen denken, nicht zu reden. Deshalb heißt das
Stück BRUDER EICHMANN." (Heinar Kipphardt)
[4] Glossner, Herbert, "Eichmann, Hitler und die
Popularität des Bösen." In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt. 8.5.1983
Download Seite 1
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"Ich tat nur meine Arbeit!" |
Das Milgram-Experiment eignet sich dafür, kritisches Bewusstsein zu schulen und bestimmte Verhaltensweisen zu überdenken.
Einstieg:
Was bedeutet 'Gewissen' für dich? Nenne Beispiele aus deinen persönlichen Erfahrungen (Gruppenarbeit)
Text teilen, bis auschließlich der Experiment-Ergebnisse.
Die Schüler sollen Hypothesen über die Ergebnisse aufstellen .
Weiterlesen bis 'XXX'. Die Schüler sollen spontan dazu ihre Meinung äußern, am besten schreibt jeder seinen Gedanken auf ein Blatt. Diese werden dann vorgelesen und festgehalten (an die Tafel, Whiteboard,...)
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